Unsere Führungsreihe – Teil 9

Unsere Führungsserie

Wenn von Führung die Rede ist, gehen die Ansichten unter Führungskräften weit auseinander. Von Einigkeit ist keine Spur. Im Gegenteil: Die Extreme existieren weiterhin. Die Hardliner führen nach klassischem Muster. Mit harter Hand. Von oben nach unten. Ohne Kompromisse. Ein Modell, das allem Anschein nach jedoch an Attraktivität und Zustimmung verliert. Denn die Zeiten ändern sich und mit ihr auch der Umgang mit Mitarbeitern. Es scheint, als verlange Führung den Führenden zunehmend mehr ab.

Wir von proJob wollten es genauer wissen und haben uns deshalb auf eine ungewisse Reise begeben, um mehr über Führung und die Menschen dahinter zu erfahren. Wie sie verstanden und gelebt wird. Wie wird Führung im Jahr 2024 interpretiert? Macht Führen eigentlich Spaß? Wieso ist Führung ein Erfolgsfaktor? Fragen über Fragen. Mit teilweise verblüffenden Antworten. In loser Folge bitten wir Führungskräfte zum Gespräch und fragen nach. Es könnte spannend werden. Begleiten Sie uns einfach.

Folge 9 – Führung aus Sicht eines angehenden Mediziners

Jannik Schnepf studiert Medizin in Köln. Wenn alles nach Plan läuft, wird der 25-Jährige schon im Sommer seine erste Stelle als Assistenzarzt antreten. Sein Ziel ist es, sich in den kommenden Jahren verstärkt der Radiologie zu widmen.

Was macht Führung in Ihrem medizinisch-ärztlichen Umfeld aus?

Zum einen die Herausforderung, ein Team oder eine Abteilung koordinieren zu müssen und in einem immer noch sehr konservativen von hierarchischem Denken geprägten Umfeld die Mannschaft leistungsfähig und bei Laune zu halten. Ungeachtet des vorherrschenden Kostendrucks im Gesundheitswesen müssen die Patienten aber immer noch an erster Stelle stehen. Unser Auftrag ist es, ihr Wohl zu gewährleisten und zu sichern. In diesem Kontext hat der Patient sicher einen anderen Stellenwert als der klassische Kunde, wie wir ihn aus dem normalen Alltag kennen. Und auch hier muss Führung sichtbar werden. Der Patient muss spüren, dass ich meine Abteilung im Griff habe. Dass er gerade am richtigen Ort und in guten Händen ist.

Das klingt, als sei Führung hier besonders herausfordernd.

Das würde ich unterschreiben. In der Medizin, mit den gegenwärtigen Rahmenbedingungen, sind wir als Mediziner einem komplexen Spannungsfeld ausgesetzt. Neben der Sicherstellung der bestmöglichen medizinischen Versorgung, haben wir oftmals auch ethische Entscheidungen zu treffen. Meistens unter Zeitdruck, bei schlechten Arbeitsbedingungen, einer chronischen Unterbesetzung und unter Wahrung von gewachsenen Hierarchien. Hinzu kommt gegebenenfalls die wirtschaftliche Verantwortung. Im Praxis-Setting mit der vollständigen unternehmerischen Verantwortung ist das eine Herkulesaufgabe. Die Kunst ist es wohl, am Ende einen für alle Beteiligten sprichwörtlich gesunden Mittelweg zu finden. Das Ganze kommt einem Balanceakt gleich. Einem, der im Studium in dieser Form nicht thematisiert wird.

Überdies wird gerne vergessen, dass die Leitenden immer auch einen Lehrauftrag haben, dem sie gerecht werden sollten. Der Chefarzt sollte sich nicht ausschließlich als Arzt verstehen, sondern auch als Lehrmeister. Assistenzärzte sind auf dieses akademische Wissen angewiesen, um sich weiterentwickeln zu können. Das wird oft vergessen oder zumindest vernachlässigt. Glücklicherweise besinnt sich der eine oder andere aber auf diesen Auftrag.

Wie haben Sie Führung in Ihrer bisherigen Ausbildung erlebt?

Grundsätzlich positiv. Meine Vorgesetzten nehmen ihre Führungsverantwortung ernst und fühlen sich verantwortlich. Sie sind bestrebt, mir ein Vorbild zu sein und mich an meine Aufgaben und Herausforderungen heranzuführen. Aber niemals von oben herab. Es herrscht gegenseitige Wertschätzung. Diese Nahbarkeit ist für mich ein besonderer Faktor. Schließlich sind unsere Anfänge vergleichbar gewesen. Wir kennen die Hürden auf dem Weg zum Ziel. An die Hand genommen zu werden und zunehmend Vertrauen zu spüren, macht es gerade für uns junge Mediziner deutlich erträglicher.

Mir sind allerdings auch Führungskräfte begegnet, die nicht in der Lage waren, klare Entscheidungen zu treffen. Gerade in heiklen Situationen kann dies jedoch überlebenswichtig sein. Fehlende Entscheidungsbereitschaft und Verantwortung zu scheuen, sind, so denke ich, langfristig kein guter Ratgeber und sorgen nicht selten für Unruhe im Team.

Es gab Zeiten, in denen Mediziner als „Götter in Weiß“ bezeichnet wurden. Spüren Sie davon noch etwas?

Ich bin Jahrgang 1998. Was soll ich dazu sagen? (lacht). So wie ich es wahrnehme, wird unserem Berufsstand immer noch Respekt entgegengebracht. Vor allem bei älteren Patienten ist das spürbar. Wenn der Herr Doktor das sagt, dann passt das schon. Das sind die Patienten, die wollen, dass man ihnen sagt, was sie tun sollen. Sie wollen sich keine Gedanken machen. Andere wiederum hinterfragen, wollen Alternativen aufgezeigt bekommen. Entsprechend sind in diesem Zusammenhang unterschiedliche Patientenführungsstile notwendig, die im Medizinstudium tatsächlich zur Sprache kommen. Das Thema Führungskompetenz findet hingegen mit keiner Silbe Erwähnung, wie mir gerade klar wird.

In diesem Zusammenhang könnte die Vorbereitung auf Ihr Berufsleben also besser sein.

Ohne Frage. Meine Erfahrungen aus den klinischen Praktika sind überdies immer nur Ist-Zustände, an die man sich nur schwer heranwagt. Nach dem Motto: Wir haben es immer so gemacht. Warum sollten wir das jetzt ändern? Eine Haltung, die, wie ich finde, nicht gerade dazu beiträgt, um überholte Ansichten zu optimieren oder sogar bestenfalls zu eliminieren. Die Schlussfolgerung ist: So hast du zu sein. Das wäre sicherlich ein Themenfeld, das man im Studium schon verwurzeln und möglicherweise mehr Spielraum für Entwicklungen bieten könnte.

Könnten Sie sich vorstellen, später einmal in Ihrer beruflichen Laufbahn auch Mitarbeiter zu führen?

Definitiv. Das ist mein Anspruch. Dabei führt der klassische Krankenhaus-Karriereweg, wenn man es denn will, zwangsläufig in die mehr oder minder ausgeprägte Personalverantwortung. Natürlich kann man dies ein Stück weit steuern und an sich ziehen. Der Gegenentwurf ist die Fokussierung auf sein fachliches Wirken. Mein Ding ist das nicht. Ich strebe das volle Programm an und möchte Verantwortung übernehmen.

Wie würden Sie die wichtigsten drei Werte Ihres Führungsverständnisses bezeichnen?

Empathie, Integrität und kontinuierliche Weiterentwicklung. Vorbild sein, Lehre verbreiten und Präsenz zeigen. Ein förderndes Miteinander zu pflegen und die Augen nicht vor Neuerungen zu verschließen. Immer am Ball zu bleiben und dies auch seinem Team zu ermöglichen. Das waren jetzt mehr als drei (lacht).

Würden Sie die kurze oder die lange Leine bevorzugen?

Ich denke, ich würde es individuell und punktuell angehen. Mein Führungsansatz wäre aber sicher derart, seinen Mitarbeitern möglichst viel Freiraum zu gewähren, und bei Bedarf mit konstruktiver Kritik am Ende Teil der Problemlösung zu sein.

Muss eine Führungskraft der Alleswissende sein?

Dieser Person würde ich gerne einmal begegnen (lacht). Insbesondere in unserem medizinischen Bereich ist es durch die Komplexität und Breite des Fachs, sowie der ständig neuen Erkenntnisse unmöglich, in allem Experte zu sein. Daher ist man zwangsläufig auf ein Team angewiesen und auch als Führungskraft gut beraten, Schwäche oder Unwissenheit zu zeigen. Man sollte dies in aller Offenheit kommunizieren. Was schlagt ihr vor? Wie würdet ihr das machen? Habt ihr eine Idee? Ich betrachte es als Stärke, eine Schwäche kundzutun und die Problemlösung zu einer gemeinschaftlichen Angelegenheit zu machen. Ich könnte mir vorstellen, dass das ungemein verbindend wirkt.

Was sind die aus Ihrer Sicht wichtigsten Instrumente guter Führung?

Für mich sind eine klare Kommunikation, konstruktive Kritik respektive Feedback sowie die Förderung eines positiven Arbeitsumfeldes. Der aktuelle Zustand des Gesundheitswesens gibt das allerdings nicht her. Die Arbeitsbedingungen sind schlecht und es mangelt an Wertschätzung. Zum Teil von Patienten gegenüber dem Pflegepersonal, aber auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Junge Mitarbeiter werden ohne Rücksicht auf Verluste ins kalte Wasser geschmissen und erhalten keine richtige Einarbeitung, machen unbezahlte Überstunden. Das ist eine ungesunde Gemengelage, die auf allen Seiten für extreme Unzufriedenheit und ein negatives Gesamtklima sorgen. Das sind Versäumnisse, die besser zu machen sind, am besten schnellstmöglich.

Gibt es für Sie ein Vorbild als Führungskraft, womöglich auch außerhalb des aktuellen beruflichen Umfeldes?

Konkret fällt mir da niemand ein. Beeindruckend finde ich aber gewiss Menschen, die ein Gespür dafür haben, immer das große Ganze im Blick zu haben, die Verantwortung übernehmen und vorangehen. In ihrem Handeln vorbildhaft und stets fair sind und die Förderung der Mitarbeitenden im Sinn haben, um aus guten Einzelkönnern ein noch besseres Team zu formen, dass in unruhigen Zeiten wohl deutlich widerstandsfähiger sein dürfte als eine Ansammlung von Individualisten.

Gerade Ihre Generation scheint zum Thema Führung hohe Anforderungen zu haben. Wie schätzen Sie das ein?

Dem würde ich zustimmen. Meine Generation scheint viel Wert auf Transparenz, Inklusion und der Sinnhaftigkeit ihres Tuns zu legen. Nicht, dass wir alle Rebellen wären, aber ich denke, die Zeiten sind vorbei, dass man unreflektiert die Dinge annimmt. Wenn ich von einer Sache oder Vorgehensweise nicht überzeugt bin, gehört es auf den Tisch. Es muss besprochen werden. Dieser Wandel in der Arbeitskultur ist deutlich spürbar und immer wichtiger, wie ich finde. Es gilt ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem Arbeitgeber auf die Wünsche ihrer Mitarbeiter eingehen. Hier könnte sich der Gesundheitsbereich aus der Start-up-Kultur sicher einiges abschauen.